«Wir lassen uns viel zu viel gefallen»

Der Kritiker der Alternativmedizin Edzard Ernst berichtet in seiner Autobiografie über wirkungs­lose Heilmethoden, Intrigen und den Kampf gegen einen Schlangenölverkäufer namens Prinz Charles.
Mit Edzard Ernst sprach Kai Kupferschmidt

(Interview veröffentlicht im Tages­Anzeiger, Zürich, am 24. März 2015, Wiedergabe mit freundlicher Genehmi­gung von Prof. Edzard Ernst.)

In Ihrer Autobiografie berichten Sie von einem Freund, der eine Knochenmarktransplantation erhielt. Sein Körper stiess die transplantierten Zellen ab,und er starb langsam im Krankenhaus,unter einem durchsichtigen Plastikzelt. «Moderne Medizin kann sehr grausam sein», schreiben Sie.

Ich glaube, das erleben wir alle irgendwann einmal in unserem Leben, dass jemand, der uns nahesteht, von der Medizin im wahrsten Sinne des Wortes zu Tode behandelt wird. Und dass diese Behandlung am Ende nicht das Leiden lindert, sondern verstärkt. Was das für die Medizin bedeutet, daran habe ich lange zu knabbern gehabt.

Was bedeutet es denn?

Dass die moderne Hightech­Medizin eben nicht immer im Interesse des Patienten ist. Mein Freund hat enorm gelitten, und es war nur eine schmerzvolle Verlängerung seines Sterbens.

Ist es da nicht verständlich, dass viele Menschen auf alternative, vermeintlich sanfte Heilverfahren wie Homöopathie oder Akupunktur setzen?

Ich verstehe das ja auch. Aber es ist nicht in Ordnung, dass die Öffentlichkeit systematisch hinters Licht geführt wird, was Risiken und Nutzen dieser Therapien angeht.

In Exeter haben Sie diese Therapien 20 Jahre lang erforscht als erster britischer Professor für alternative Heil­verfahren.

Ja, und als ich 1993 an die Uni Exeter kam, stand ich dem Ganzen noch eher positiv gegenüber.

Kein Wunder. Sie haben als Kind Kneippkuren gemacht und Globuli genommen. Ihren ersten Job nach dem Studium fanden Sie an einem Krankenhaus für Naturheilverfahren in München.

Aber in Exeter habe ich mich den Beweisen geöffnet. Das heisst, nicht nur den Ergebnissen meiner eigenen Forschung, sondern ich habe weltweit die Evidenz zu diesen Themen studiert. Langsam habe ich dann meine Einstellung zum Beispiel zur Homöopathie geändert.Viele Leute glauben, dass das so ein Saulus­Paulus­Erlebnis hätte sein müssen, aber das war eine Entwicklung, die sich über Jahre vollzogen hat.

Sie haben klinische Studien gemacht, in denen die Verfahren gegen Scheinverfahren getestet wurden. Manche Alternativmediziner sagen, so liesse sich der Nutzen alternativer Heilverfahren einfach nicht prüfen.

Das ist Humbug. Die Leute wollen ganz einfach nicht zu einem endgültigen Ergebnis kommen.Viele Menschen behaupten, dass die Wissenschaft nur eine Form der Wahrheit sei, und es gebe viele andere Betrachtungsweisen. Diese Art der Argumentation hat mich immer sehr irritiert.Wenn ich mein Auto gegen einen Baum fahre, dann gibt es nur eine Wahrheit: Es gibt Beulen. Und zu der Frage, ob eine Therapie wirkt, gibt es auch nur eine Wahr­heit. Das Thema Homöopathie ist abgeschlossen.