Leserfrage zum Propheten Mohammed


Ein solch naiver Glaube an die Wahrhaftigkeit von kerygmatischen Geschichten kann freilich nicht das Paradigma einer modernen westlichen Islamwissenschaft sein, denn für diese muss schliesslich dieselbe Grundregel gelten, wie für jede andere ernstzunehmende Wissenschaft: Contra facta non valet argumentum (Gegen Fakten gilt kein Argument). Oder noch dezidierter gesagt: Die Wahrheit steht über dem Glauben. Und wahr ist eben zum Beispiel, dass eine sichere und wie im Falle des Islam auch noch höchst detaillierte mündliche Überlieferung von historischen Fakten über zwei bis drei Jahrhunderte schlichtweg in den Bereich des Unmöglichen fällt; wie Ethnologen mittlerweile nachgewiesen haben, kommt es spätestens nach 60 Jahren zu gravierenden Entstellungen.
Ausserdem kann die Frühgeschichte des Islam auch nicht von Arabisten und Islamwissenschaftlern alleine erforscht werden, denn die Komplexität der Vorgänge beziehungsweise der überlieferten Zeugnisse erfordert eine Mitbeteiligung von Sprachfachleuten anderer Richtungen sowie Historikern, Archäologen, Numismatikern, Epigraphikern und so weiter.
Diese Interdisziplinarität findet man im Saarbrücker Institut zur Erforschung der frühen Islamgeschichte und des Koran (kurz Inarah genannt). Dessen wohl prominentestes Aushängeschild ist Christoph Luxenberg, der Autor des 2000 erschienenen Buches ‹Die syro-aramäische Lesart des Koran›, in dem erstmals detailliert nachgewiesen wird, dass die Heilige Schrift der Muslime nicht auf einer mündlichen arabischen Überlieferung basiert; ebenso kam es zu keiner Erstverschriftung des Koran zur Zeit des dritten Kailfen Utmãn (also zwischen 650 und 656). Statt dessen muss man von einem Ur-Koran in einer aramäischen früharabischen Mischsprache, festgehalten mit syrisch-aramäischen Schriftzeichen, ausgehen.
Desgleichen kann die Region, in der dieser Ausgangstext entstand, auch keinesfalls die Arabische Wüste gewesen sein. Zum ersten war diese durch ein weitgehend analphabetisches und auf jeden Fall ‹bildungsfernes› nomadisches Milieu geprägt. Zum zweiten finden Mekka und Medina, die vermeintlichen zentralen Stätten der Geschichte des frühen Islam, im Koran selbst nur ganze vier Mal Erwähnung – und das auch noch in einem äusserst mehrdeutigen Kontext, der vollkommen offenlässt, ob es sich hier tatsächlich um arabische Siedlungen handelt. Zum dritten deutet die sprachliche Prägung des Koran eindeutig auf eine Herkunft aus der Stadt Merw in Chorasan (heute Südturkmenistan) hin.

Der Ur-Koran war keine religiöse Gründungsurkunde, sondern das Credo einer peripheren christlichen Bewegung. Eine Vermischung ostsyrischer Theologie mit neuplatonischen Ideen, zeroastrischen, manichäischen und buddhistischen Gedankensplittern.